Der Saal war seit
wenigen Minuten dunkel, die Sitze neben und hinter mir leer. Mein Blick glitt
über die Zuschauer auf dem Parkett, über die Zuschauer auf der anderen Seite
des Balkons. Und über eine ältere Frau in meiner Reihe, die in ihrem
gestreiften Pullover bereits tief und fest eingeschlafen war. Ein amüsiertes
Grinsen zog sich über mein Gesicht, wenngleich das Stück eine solche Reaktion
nicht verdient hatte.
Ein Mann fiel mir
plötzlich auf, der mein Vergnügen darüber zu bemerken schien. Er saß hinter der
Schlafenden, unsere Blicke trafen sich unumwunden. Als wäre ich bei etwas
Verbotenem erwischt worden drehte ich mich schnell wieder zur Bühne.
Dennoch war mir,
als hätte ich einen Blick im Nacken. Einen Beobachter.
Es war, als Candide
auf die Bühne kam, nicht als naiver Tölpel, der versucht, in seiner Trommel zu
verschwinden, sondern als geläuterter Wissenschaftler, einst von Hedda
abgewiesen und beinahe über den Haufen geballert, dass ich mich doch umdrehen
musste, um meinen paranoiden Verdacht zu bestätigen. Oder zu widerlegen.
Er sah mich an.
Intensiv. Seine Mundwinkel zogen sich leicht nach oben. Ich runzelte die Stirn
und drehte mich abermals zurück zur Bühne.
Er sah nicht an mir
vorbei. Und es waren auch nicht die Akteure auf der Bühne, die ihm ein Lächeln
abrangen. Er sah mich an.
Den Rest der
Vorstellung zwang ich mich, mich nicht umzudrehen. Ich konzentrierte mich ganz
auf die verzweifelte, kraftlose Frau auf der Bühne und ihr böse kalkulierendes
Spiel. Musste an ein anderes Stück denken, in dem sie ebenfalls ein kalkuliertes
Spiel betrieb. Nur mit besserem Ende.
Der Saal wurde
heller und das Ensemble mit viel Applaus und Zurufen gefeiert. Jetzt musste ich
mich umdrehen.
Und wieder trafen
sich unsere Blicke. Ich erschrak und wandte mich ab. Was denkt der sich
eigentlich?
Ich ließ mir Zeit,
meinen Platz zu verlassen, um nicht an ihm vorbei gehen zu müssen.
Ich steuerte auf
die Garderobe zu. Am Treppenabgang stand er, tippte etwas in sein Handy.
Ohne ihm weiter
Beachtung zu schenken, packte ich mich in meinen Mantel. Aber ich musste an ihm
vorbei, um über die schmale Treppe nach unten und ins Freie zu gelangen.
„Du bist alleine
hier…?“ sprach er mich an, als ich ihn passierte. Ich warf ihm einen bösen
Blick, aber das schien wiederum ihn zu amüsieren.
„Der Abend ist noch
jung. Begleitest du mich auf ein Glas Wein?“
„Ich kenne Sie
überhaupt nicht.“
„Aber ich dich.“
Wie
selbstverständlich ergriff seine feingliedrige Hand meine, seine Finger schoben
sich zwischen meine. Eine Spannung lag in der Luft, als er sanft meine Hand
drückte.
Er ging voran, ich
folgte ihm. Hin- und hergerissen zwischen Angst und Neugier.